12 Wochen später,

tausend unbeantwortete Fragen, eine soll beantwortet werden. Was ist passiert?
Am 02. Mai fuhren wie über die Grenze, zwischen Chile und Argentinien, über den Paso de San Fransisco und haben dann eine kleine Pause in Fiambala , Argentinien,  in den heißen Quellen eingelegt.
Am 04. Mai fuhren wir weiter Richtung Tinogasta, das Ziel war die Ruta 40, dann weiter Richtung Norden. Unser nächstes großes Ziel wäre Bolivien gewesen, was wir wegen der Regenzeit, ausgelassen hatten.
Einige Tage vorher besprachen wir die Rute und entschieden uns für eine kürzere Verbindungsstrasse, von Tinogasta zur Ruta 40.
Am Ortseingang von Tinogasta, in der Provinz Catamarca von Westen kommend, geht links eine Piste in die Serra de Zapata. Diese Piste überwindet eine kleine Bergkette und trifft dann auf die Ruta 40.
Die Piste ist eine Kategorie 2 und wurde auch von der Dakar- Rallye benutzt. Durch die Serra ist es absolut problemlos, wenn es trocken ist. Danach biegt die Piste nach rechts ab in die Berge. Es ist ein sehr alter Inkatrail, die Nord- Südachse nach Cusco.
Der Trail wird in den Bergen ziemlich schmal und kurvig, für uns aber kein Problem. Wir hatten viele Anden Pässe überquert und sehr viel Erfahrung mit derart Pisten. An der Cuesta de Zapata, einer Schlucht, ist es ein typischer Pass, auf der einen Seite Abhang auf der anderen Berg. Die rechte Fahrzeugseite war die Bergseite, da gab es einen Vorsprung in der Felswand und Ingrid sagte, halt mal an, ich bin nicht sicher ob wir mit dem Aufbau vorbei kommen.
Da ich nicht aussteigen konnte, links neben Arminius war nur Schlucht und kein Platz zum laufen, ist Ingrid zum einweisen ausgestiegen. Sie sagte, kein Problem, 1 Meter zurück und 1 Zentimeter nach links, dann geht’s.
Sweetie stand ca. 15 Meter vor Arminius, mit dem Gesicht zu mir. Als ich den Gang wechselte habe ich einen kurzen Blick nach unten gemacht, um sicher zu sein das ich den Kleinsten Gang habe.
In dem Moment, als ich wieder nach vorne schaute, bin ich innerlich gestorben.
Ich sah Ingrid genau in diesen Augenblick, über die Straßenkante in die Schlucht stürzen. Sie hatte beim rückwärts gehen nicht registriert wie dicht sie am Abgrund stand.

Koordinaten der Unglücksstelle S 27° 53' 38.3'' W 067° 22' 18.3''


Sie ist 50 Meter tief, senkrecht, abgestürzt und auf einen Felsvorsprung liegengeblieben. Dieser scheiß Canyon ist ungefähr 200m tief.
Ich habe mich zu ihr abgeseilt, sie war noch am Leben. Ich glaube sie hat mit all ihrer Kraft auf mich gewartet, und ist dann in meinen Armen gestorben. In diesem Alptraum, danke ich Gott, für diese 1 Minute des klaren Abschieds.
Um 16:05 Uhr hat unsere Welt aufgehört zu existieren, es gibt UNS nicht mehr und es gibt auch mich nicht mehr, ich bin wer anderes geworden.

Dann ist etwas sehr emotionales passiert, Ingrid hat die Kontrolle übernommen. In diesen Moment  habe ich angefangen zu funktionieren.
Wir waren in totaler Einsamkeit und in solchen Momenten braucht man Hilfe, da aber keiner da ist, erinnert man sich, was hätte Ingrid jetzt gemacht. Ich habe ihre Hilfe einfach zu 100% angenommen, heute weiß ich, das Jörg, in diesem Moment handlungsunfähig war.
Danke mein Schatz , für deinen Beistand, du bist die Stärkere!
Ich war technisch nicht in der Lage sie zu bergen, also bin ich wieder hoch geklettert. Als ich oben an der Kante stand musste eine Entscheidung her, ich wollte nichts mehr, als wieder bei ihr zu sein. Das ist heute noch so, aber ich habe mich für leben entschieden.
Jetzt kam es ganz hart, ich musste Ingrid dort zurücklassen, um Hilfe zu holen. Ich kam mir vor wie ein Deserteur der seine Kameraden im Kugelhagel allein läst.
Ich fuhr nach Tinogasta zur Polizei und habe versucht die Sache zu schildern, die haben mich erst mal unter Arrest gestellt, dann aber doch ein Bergungstrupp losgeschickt.
An dieser Stelle möchte ich mich ganz lieb bei Marcella und Monique bedanken, zwei junge Frauen aus dem Ort. Beide sprechen fließend Englisch und haben es möglich gemacht, mein Versprechen, innerhalb einer Woche einzulösen.
Ich hatte Ingrid versprochen sie nach hause zu bringen.
Wir sind mit einem Krankenwagen, ich saß die ganze Zeit neben Ingrids Sarg, 17 Stunden bis nach Buenos Aires gefahren. Das meiste Nachts, es gab keine Kühlung.
Am Anfang war diese Idee der reinste Horror. Heute muss ich sagen, dass ich für diese Stunden unendlich dankbar bin, wir hatten genügend Zeit uns voneinander zu verabschieden, es gab sehr viele Dinge zu sagen, die ausgesprochen, es mir heute leichter machen weiter zu leben.
Wir sind zusammen, am 10.05. 2012 mit der Lufthansa um 16:40 Uhr, nach Deutschland geflogen.
Ingrid und ich waren gerne auf Flughäfen, es war immer mit Abenteuer und neuen Projekten verbunden. Jetzt saß ich in der Abflughalle und sah den Arbeitern zu, wie sie die Holzkiste in den Frachtraum verluden, der beschissenste Abflug aller Zeiten.

Ganz lieben Dank auch an die Crew der LH 511, sehr einfühlsame junge Menschen.
Am 11. Mai sind wir in Frankfurt gelandet, der Moment in dem ich aufhören konnte zu funktionieren, meine Familie war da.
Ich habe mich am 25. 05. 2012 , von der Liebe meines Lebens, irdisch verabschiedet.
An dieser Stelle, geht es mir beim schreiben, wie in Reality, ich weiß nicht weiter. Irgendwie ist da etwas abgeschlossen, was keinen Abschluss haben sollte.

Mein Verstand hat eine Reihe von Vorkommnissen zu einem Ereignis zusammen gefügt, was verstanden werden kann. Meine Seele nimmt dieses Ereignis nicht an.
Ich vermisse Ingrid von Tag zu Tag mehr, da wir 15 Jahre 24 Stunden zusammen waren, ist jede Tür die ich öffne, Ingrid.
Es braucht unendliche Energie das durchzustehen, andererseits sind die Erinnerungen ein Goldschatz und sehr tröstlich. Wenn es eine Zeit gibt wo diese Erinnerungen nicht mehr so weh tun, dann könnte es weiter gehen.

Ingrid ist das größte Glück in meinem Leben, wir waren ein perfektes Team, sie hat mir die schönsten, aufregendsten und glücklichsten 22 Jahre meines Lebens geschenkt, danke Sweetie!
Es gab in unserem Leben kein HÄTTE, nein wir HABEN, und das in vollen Zügen.

Gestern las ich in einem sehr schönen Buch, danke Silvia, „die einzige Vorbereitung auf den Tod ist, wirklich zu leben“. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die enorme Anteilnahme, vor allem im Netz, hat diesen unerträglichen Schmerz in Tränen umgewandelt und so als Last von der Seele genommen, Leute, ganz lieben Dank dafür. Ihr habt mir wirklich über die dunkelsten Stellen geholfen.

Was mich selber betrifft, ich habe keine Ahnung wie es weitergeht. Ich musste einige Bücher lesen und Gespräche führen, um herauszufinden, dass ich nicht verrückt bin.
Diese Erfahrung geht so tief, das man mit Gefühlen konfrontiert wird, die man nicht kennt. Was ich noch sagen kann, und das ist absolut kritikfrei, außer von Menschen die das gleiche Schicksal habe, wird man nur ansatzweise verstanden. Ihnen zu begegnen ist ein Segen, danke Birgit. Sonst fühlt es sich an, wie im Ozean zu treiben und langsam zu verdursten.


Ich habe mir einen Erntejob gesucht, der hilft Denkpausen zu machen und den Kummer zu mildern. Ich stelle auch erstaunt fest, dass die Welt sich weiterdreht. Was ich einerseits ungerecht finde andererseits ist es ungemein beruhigend.

Die nächste große Schlacht die es zu schlagen gilt, ist, den dritten im Bunde nach hause zu bringen, Arminius fehlt noch.
Im Augenblick kann ich das noch nicht, es sind 7,5 Tonnen pure Emotionen. Vielleicht hilft auch hier die Zeit ein bisschen.

Ich wünsch mir, dass die Bilder Gallery bald wieder für Euch sichtbar wird und ihr wieder mehr Freude an der Seite habt. Ich werde von Zeit zu Zeit mal was von mir hören lassen.
Ich versuche auch weiterhin so viele Mails wie möglich zu beantworten.

Denkt ab und zu mal an uns, denn, nur wer vergessen wird, ist wirklich tot.




Ganz tiefen Dank gilt Malcolm, der das hier, kurz nach Ingrids Tod geschrieben hat.
Es ist die deutsche Übersetzung:



Zu Ingrids Tod

am 4. Mai 2012, 16:00 Uhr

 

Die Welt, in der wir lebten, ist unendlich

tugendhaft, erhaben, niemals die Sinne sättigend

und

vollkommen gnadenlos.

 

Werden wir gerettet vom Rande eines Abgrunds,

danken wir unserm guten Stern,

unserem Schöpfer,

unseren Schutzengeln.

 

Wir verwenden adrenalingetränkte Worte wie

„ganz knapp“,

„haarscharf“

und

„grad noch mal gut gegangen“.

 

Können wir etwa jeden Abgrund wittern?

 

Sie begann mir deutlicher zu werden,

als sie mir einmal sagte,

sie habe sich noch nie

so lebendig gefühlt

wie als sie mit Jörg

die Wüste zwischen

Rotem Meer und Nil

durchwanderte.

 

Jetzt denke ich an sie,

in Perspektive,

da nichts als das den Lebenden verbleibt.

Ich stelle mir die Unzahl von Frauen vor,

die, sei's aus Angst, sei es aus Not,

jahrtausendlang

eher Enge und Bedrängnis duldeten,

als dass sie sich ein stolzes Leben

voll Wagemut und Schönheit

zugestanden hätten.

 

Denk an die Millionen, die sich

für die sichre Innenwelt entschieden,

weil das Außen von jeher so gefährlich war.

 

Wäge ich Ingrids Liebe fürs Erhabene

und ihr Leben, so furchtlos dem gewidmet,

was alles ihre Welt zu sein vermochte,

gegen all die müden Existenzen ab,

verbraucht in stiller Abgestumpftheit -

könnte sie leicht deren aller Engelsführer sein

in ihren allerhöchsten Träumen

und dieser eine Fehltritt ihr

völlig und ganz verziehen werden.

 

 

Malcolm Graeme Childers ,Palisade, Colorado, 7. Mai 2012